Gesammelte Texte zur TV-Inspektion

Voraussetzungen für eine Kanalinspektion

Dipl.-Ing. Klaus-Peter Bölke beschreibt in seinen Tagungsmaterialien vom 29. Oktober 2002 zum Thema "Die Codierung der Kanalzustände" die "Voraussetzungen" für eine Kanalinspektion, sowie die "Bedeutung der Kanalinspektion" wie folgt:

"Die Praxis der Zustandserkennung und der Zustandsdokumentation bei der Kanalinspektion, die immer noch mit vielerlei Mängeln behaftet sind, liegt überwiegend in dem nicht vorhandenen grundierten Fachwissen über die verschiedenen Zustände im Kanal. Gleichermaßen sind davon die Inspekteure sowie auch die Auftraggeber betroffen.
So wird es immer dringlicher, dass die Zustandserfassung mit der Zustandserkennung, der Zustandsbeschreibung und der Zustandsdokumentation aus dem Bereich der 'Fantasie' auf den Boden einer fundamentierten theoretischen Basis gestellt wird.
Die heutige Praxis, durch die es ermöglicht wird, dass bei Befahren eines Kanalabschnittes von verschiedenen Inspekteuren ebensoviel unterschiedliche Dokumentationen erstellt werden, kann und darf heute nicht mehr geduldet werden - vor allen Dingen bei Berücksichtigung der europäischen Globalisierung.
So ist es ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung, dass sich verschiedene Fachverbände aus verschiedenen europäischen Ländern zusammengefunden haben, um ein einheitliches Codiersystem für die Dokumentation der Kanalzustände zu erarbeiten. Dieses Werk liegt nun heute vor - in einer deutschen Ausgabe - und soll bisher bestehende Lücken in der Kanalzustandsdokumentaion europaweit schließen und vereinheitlichen.

Neben der Vermittlung und Einweisung in diese europäische Norm muss zu deren besseren Verständnis die theoretischen Grundlagen für die Zustandserkennung und die Zustandsbeschreibung heute erst recht als eine der vordringlichsten Aufgaben jeder Weiterbildung bzw. Berufsausbildung (neu ab August 2002) gesehen werden.

Ohne Definitionen ist es nicht möglich, Zustände fachgerecht zu beschreiben. Wer dies bestreitet, ist sich wahrscheinlich nicht der Tatsache bewusst, dass sich alles in unserem Leben um Definitionen im täglichen Leben dreht. Alles was uns umgibt ist irgend wann und irgend wie einmal definitiv festgelegt worden. Aus dieser Erkenntnis heraus ergibt sich zwangsläufig, dass auch die Zustände, die im Kanal auftreten, definiert werden müssen. Unter Berücksichtigung und der Kenntnis dieser notwendigen Definitionen wird es dann möglich, dass die Zustände im Kanal einheitlich von allen Inspekteuren beschrieben werden können. Die heutige Beschreibung aus dem 'hohlen Bauch' heraus entfällt damit.
Bedeutung der Kanalinspektion

Lassen Sie mich eingangs nochmals mit Nachdruck auf die Bedeutung der Kanalinspektion verweisen. Modellhaus Kanalbetrieb Hierin spiegelt sich nochmals die Wichtigkeit objektiver, fachlicher und einheitlicher Zustandsbeschreibungen wieder, da die Ergebnisse der Kanalinspektionen die Grundlage für jede weitere Arbeit im, am und um den Kanal beeinflussen. Im Bild rechts wird die Kanalinspektion gleichgesetzt mit dem Fundament eines Hauses. Die Weiterbearbeitungskonzepte für die Arbeiten am Kanal stellen den Hauskörper und die Dokumentierung in den Datenbanken verkörpert letztlich das Dach. Der Vergleich mit dem Bau eines Hauses, kann so die Bedeutung der qualitativ hochwertigen Ausführung einer Kanalinspektion nachvollziehbar dokumentieren. Jeder kann nun selbstständig nachvollziehen, was es für den Hauskörper bedeutet und was passiert, wenn das Fundament und das Dach eines Hauses - hier das Modellhaus 'Kanalbetrieb' - nicht fachgerecht ausgeführt wurde.

So kann auch nicht die Frage gestellt werden, für wen oder was ist eine fachlich fundamentierte Wissensvermittlung zur Thematik Kanalinspektion notwendig. Jeder Mitarbeiter - ob Arbeiter, Sachbearbeiter oder Ingenieur - eines Dienstleistungsbetriebes, eines Ingenieurbüros oder einer Kommune, der sich mittel- oder unmittelbar mit dem Thema Kanal, Kanalbetrieb, Kanalreinigung, Kanalinspektion und Kanalsanierung auseinander setzen muss, kommt heute nicht mehr nur mit einem empirischen Wissen aus, sondern benötigt vor allen Dingen ein theoretisches Grundlagenwissen.

Rechtliche Aspekte für eine Kanalinspektion

Die "Rechtlichen Grundlagen" beschreibt Dipl.-Ing. (FH) Markus Vogel in seinem Lehrgang "Kanalinstandhaltung" am 8. und 9. November 2000 in Friedrichshafen, wie folgt:

 "Die rechtlichen Grundlagen zum Betrieb von Entwässerungsnetzen sind vielschichtig:

  • Europarecht (diverse Gewässerrichtlinien zum Umweltschutz mit Einfluss auf das nationale Wasserrecht)
  • Bundesrecht (Wasserhaushaltsgesetz WHG als zentrales Rahmengesetz)
  • Landesrecht (Landeswassergesetze mit nachgeschalteten Verordnungen und Verwaltungsvorschriften in Ergänzung und Ausfüllung des WHG)
  • Kommunale Satzungen (für Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft)
Gesetzwidriges Verhalten bedeutet im Abwasserbereich Konflikt mit dem Umweltstrafrecht. Hierbei sind § 324 StGB 'Gewässerverunreinigung', § 324a StGB 'Bodenverunreinigung' und § 326 StGB 'Umweltgefährdende Abfallbeseitigung' die relevanten Straftatbestände, welche mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe belegt werden.

Adressaten möglicher Anklagen sind beim kommunalen Netzbetreiber zunächst die Verwaltung mit dem Verwaltungschef an der Spitze. Die Verantwortlichkeit wird innerhalb der Verwaltung ggf. an die zuständigen Abteilungsleiter weiter zu reichen sein. Sofern der Gemeinderat die notwendigen finanziellen Mittel (auf Vorschlag der Verwaltung) zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben nicht bewilligt, macht sich dieser als entscheidendes Gremium selbst strafbar."

Dietrich Stein beschreibt die "Gesetzlichen Regelungen" für die Inspektion in seinem Buch "Instandhaltung von Kanalisationen", 3. Aufl. Berlin 1999, S. 201 folgendermaßen:

"Die rechtliche Notwendigkeit der Inspektion von Kanalisationen im Rahmen der Instandhaltung ergibt sich aus der Verkehrssicherungspflicht nach dem Bundesgesetzbuch (BGB) und der allgemeinen Sorgfaltspflicht des Betreibers der Kanalisation, wie sie im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) [4-3], insbesondere in den §§ 1a und 18b sowie in den Landeswassergesetzen festgelegt ist. Das Wasserhaushaltsgesetz gilt für alle Gewässer, d.h. für die oberirdischen Gewässer und das Grundwasser (§ 1). Sie dürfen nur so genutzt werden, dass jede vermeidbare Beeinträchtigung unterbleibt (§ 1a). Die Belastung des Gewässers muss so gering gehalten werden, wie dies bei Anwendung der jeweils in Betracht kommenden Verfahren nach den Regeln der Technik möglich ist (§ 7a). So wird z.B. in § 18b des WHG gefordert, dass Abwasseranlagen, die im Sinne des WHG (§ 18a) der Abwasserbeseitigung, d.h. dem Sammeln, Fortleiten, Behandeln, Einleiten, Versickern, Verregnen und Verrieseln von Abwässern, dienen, 'nach den jeweils in Betracht kommenden Regeln der Technik zu errichten und zu betreiben sind [...]'."
Personalqualifikation

Im Zeitalter von modernen Managementsystemen und Qualitätssicherung sollten die aus vergangenen Zeiten bewährten Methoden "Do it yourself" und "Learning by doing" endgültig da bleiben wo sie hingehören - nämlich in der Vergangenheit.

"Neben der Grundausbildung des Inspektionspersonals muss auch eine regelmäßige Fortbildung erwartet werden, da sich z.B. die Inspektionsanforderungen zwischen Anfang der 90er Jahre und heute gravierend verändert haben. Das Personal sollte namentlich bekannt sein, um die vorgelegten Ausbildungsnachweise zuordnen zu können. Auf eine Einweisung sollte generell nicht verzichtet werden, da der Informationsfluss innerhalb der Inspektionsfirma oft nicht in der notwendigen Form funktioniert. Hierbei sollten die gesamten qualitäts- und ablauforientierten Vorgaben explizit angesprochen werden, um die Kenntnis derselben sicherstellen zu können."

(Quelle: Dipl.-Ing. (FH) Markus Vogel: Kanalinstandhaltung (08./09.11.2000 Friedrichshafen)

Zunehmend wichtiger werden betriebsspezifische Schulungen. Hier muss detailliert auf die betrieblichen Gegebenheiten und Vorschriften eingegangen werden.

Grundlagen einer TV-Inspektion

Die einfachste Art sich einen Überblick über den Zustand einer geradlinig verlegten und nicht begehbaren Leitung zu verschaffen ist die Kanalspiegelung. Hierbei wird ein Spiegel unter 45° so vor das eine Haltungsende gehalten, dass ein ungehinderter Einblick in die Rohrleitung möglich ist. Die Beleuchtung erfolgt vom anderen Rohrende aus. Auf diese Weise lassen sich neben vertikalen und horizontalen Lageabweichungen nur noch größere Hindernisse, Deformationen und Einstürze erkennen. Eine exakte Lokalisierung des Schadens ist nicht möglich. Die Aussagekraft der Schadensbeschreibung ist bei diesem System sehr stark abhängig von der Erfahrung und der Persönlichkeit des Inspekteurs.
Heute ist dieses Verfahren weitgehend verschwunden und wird nur noch verwendet, um sich einen groben Überblick zu verschaffen.

Die Notwendigkeit einer regelmäßigen Zustandserfassung eines bestehenden Entwässerungssystems wurde nicht, oder nur ansatzweise, erkannt und praktiziert. Dementsprechend gering war der technische Entwicklungsstand der notwendigen Gerätschaften ausgebildet.
Speziell in der Datenerfassung entwickelte sich ein regelrechter Wildwuchs an Standards und Quasistandards, die zum Teil in offener Konkurrenz zueinander standen. Inkompatibilitäten, Probleme und Verluste bei der Datenübernahme waren regelmäßig die Folge, insbesondere wenn im Vorfeld einer Untersuchung eine genaue Datendefinition und Schnittstellenbeschreibung versäumt wurde.
Die dabei entstandenen Daten schlummern zum Teil heute noch unberührt Seite an Seite mit unbeschrifteten Videobändern in vielen dunklen Archiven.
Allgemein gültige Standards waren rar, schlecht beschrieben und zum Teil in offener Konkurrenz zueinander. Für den Auftraggeber bedeutete dies große Schwierigkeiten die Spreu vom Weizen zu trennen.
Für den Auftragnehmer kam die Situation einem Freibrief gleich, "irgendwelche" Daten mit dem Hinweis dies sei das Format "XY" abzugeben. Eine große Unsicherheit war zu dieser Zeit in der Branche weit verbreitet und ihr Ruf nicht gerade als seriös zu bezeichnen.

Im August 1989 erschien erstmals eine Verordnung zur turnusmäßigen Überprüfung öffentlicher Abwasserkanäle. Federführend war das Land Baden-Württemberg mit der "Eigenkontrollverordnung - Verwaltungsvorschrift zur Durchführung der Eigenkontrolle von Abwasseranlagen". In dieser Verordnung wird die Überprüfung sämtlicher öffentlicher Abwasserkanäle in einem wiederkehrenden Zeitraum von 10 Jahren vorgeschrieben.

Mit der Einführung dieser Verordnung ist die Entwicklung im Bereich Zustandserfassung und Kanalsanierung sprunghaft angestiegen.
Mittlerweile stehen hervorragende TV-Kamerasysteme und auch Richtlinien zur Durchführung dieser Arbeiten zur Verfügung.

Zustandserfassung

Die bisher vorhandenen nationalen Standards zur Datenerfassung wurden nun endlich - 2003 - abgelöst von einem europäischen Standard, der EN 13508-2:2003. Diese Norm wurde im September 2003 veröffentlicht und legt ein europaweit verbindliches System für die "Zustandserfassung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden" fest. Sie ist ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung verbindlich bei künftigen Inspektionen anzuwenden.
Für alle Dienstleistungsfirmen "im und um den Kanal", sowie für deren "Kunden", bietet diese Norm durch Ihren europaweiten Status besonders viele Vorteile (vgl. EN 13508-2:2003).

Grundlagen der Zustandsklassifizierung und -bewertung
"Ziel der bautechnischen Zustandsklassifizierung und -bewertung von Entwässerungssystemen ist es, die umfangreichen Daten aus der optischen Inspektion dahingehend auszuwerten, dass mit wenigen Zahlen und Angaben ein Überblick über den Zustand des Entwässerungssystems gewonnen werden kann und ein Hilfsmittel zur Ermittlung von Prioritäten der erforderlichen Maßnahmen vorliegt."

(Quelle: Dipl.-Ing. (FH) Markus Vogel: Kanalinstandhaltung (08./09.11.2000 Friedrichshafen))

Für die Klassifizierung und Bewertung der Zustände stehen viele verschiedene Bewertungssysteme am Markt zur Verfügung. Die Festlegung auf ein bestimmtes Bewertungsmodell, die Zustandsklassifizierung und -bewertung sind Ingenieurleistungen und dürfen nicht den Inspektionsfirmen überlassen werden.

Auf Basis der Zustandsbewertung kann eine Prioritätenliste erstellt werden. Diese stellt eine Rangfolge der Sanierungsbedürftigkeit hinsichtlich der baulichen und betrieblichen Aspekte dar. Die Abfolge der Sanierung ist damit noch nicht vorgegeben, die Prioritätenliste kann hierfür aber einen ersten Anhalt bieten.